Lehnt Euch zurück und stellt Euch Folgendes vor: Als Kunstsammler gebt Ihr das Werk eines der bekanntesten deutschen Aktionskünstler des 20. Jahrhunderts zu einer Ausstellung, um es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dieses Werk – eine kleine Badewanne – wird kurzum umfunktioniert und zum Gläserspülen verwendet. Das von Joseph Beuys geschaffene Werk unbetitelt (Badewanne) (1960) wurde vom Kunstsammler Lothar Schirmer für die Wanderausstellung Realität-Realismus-Realität zur Verfügung gestellt. Es sollte im Schloss Morsbroich in Leverkusen ausgestellt werden und wurde dort zwischenzeitlich in einem Lager abgestellt. Bei einer örtlichen SPD-Veranstaltung am 03. November 1973 fanden zwei Frauen, auf der Suche nach weiteren Stühlen, also tatsächlich sehr zufällig, die mit Pflastern, Mullbinden und Fett versehene Badewanne. Spontan entschieden sie sich, die Wanne zu säubern, um sie bei der sich im vollen Gang befindenden Veranstaltung zum Gläserspülen zu benutzen. Was sie nicht ahnten, war, dass sie im Zuge dessen ein Kunstwerk mit einem hohen fünfstelligen Wert zerstörten – der Skandal war perfekt und ein daraus resultierender Rechtsstreit mit beträchtlicher Gelderstattung und Rekonstruktion des Werkes inklusive.
Das Beispiel verweist auf den viel diskutierten und theoretisch umrissenen schmalen Grad zwischen Kunst und Nicht-Kunst. Neben berühmten Vertretern wie Joseph Beuys und Andy Warhol gilt es an dieser Stelle den französisch-amerikanischen Künstler Marcel Duchamp zu nennen. Insbesondere mit den Readymades ruft er zu seinem kunstgeschichtlichen Aufbruch auf und thematisiert damit genau diese Frage: Wo beginnt Kunst Kunst zu sein? Wo ist die Grenze zwischen Alltagsobjekt und Kunstwerk? Seine Antwort war provokant und zugleich „einfach“: Kunst wird dann Kunst, sobald man sie dazu erklärt. Diese im ersten Moment womöglich „einfach“ wirkende Erklärung ist ein komplex-vielschichtiges Unterfangen: Neben dem Hinterfragen des generellen Wertes der Kunst und einer damit direkt verbundenen Institutionskritik, stellt der Künstler damit nicht zuletzt den gesamten Kunstkanon in Frage.